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Forschung - Gesellschaftliche Transformationen im antiken Mittelmeerraum

Profil

Die Forschungsfelder der Professur sind vielfältig und betreffen die antike Geschichte Griechenlands und Roms ebenso wie die des vorislamischen Iran; dabei stehen insbesondere Bürgerzwist ("Stasis") in griechischen Poleis, die römische Geschichte in Prinzipat und Spätantike sowie der vorislamische Iran und seine Kontakte zur antiken Mittelmeerwelt im Mittelpunkt. Der zeitliche Fokus liegt auf dem hellenistischen Griechenland und auf der kaiserzeitlichen und spätantiken römischen Geschichte, also auf dem Jahrtausend zwischen Alexander dem Großen und der Islamischen Expansion. Sowohl der Hellenismus (ca. 338 bis 27 v. Chr.) als auch die Spätantike (ca. 284 bis 641 n. Chr.) waren Zeitalter beschleunigter, oftmals krisenhafter gesellschaftlicher Transformationen, die daher einst oft als Dekadenzepochen abgetan wurden, in der aktuellen Forschung aber aus genau diesem Grund in den Mittelpunkt gerückt sind.

Die Furcht vor einer Stasis war in Hellas allgegenwärtig und eine treibende Kraft bei der Entwicklung der Polis in Archaik und Klassik; die Ursachen dieser Bürgerkriege werden seit langem intensiv diskutiert. Doch auch nach Alexander dem Großen kam es in den Städten, die sich zunächst im Spannungsfeld der neuen hellenistischen Monarchien, später unter der Dominanz Roms wiederfanden, vielfach zu Staseis, die sowohl durch literarische als auch durch epigraphische Zeugnisse überliefert sind. Aus diesem Befund ergibt sich nicht nur eine quantitative Erweiterung des Forschungsgegenstandes um einige Jahrhunderte; er muss vielmehr der Dreh- und Angelpunkt seiner Deutung sein. Denn erst vor dem Hintergrund der Stasis im Hellenismus lässt sich die Frage substantiell beantworten, was die spezifischen Voraussetzungen waren, die das antike Griechenland zumindest äußerlich zu einer "Bürgerkriegskultur" werden ließen. Denn interne Konflikte lassen sich nicht nur als Epiphänomen und Katalysator, sondern auch als bislang unterschätzter Inhibitor von urbanen Transformationsprozessen in den Poleis begreifen. Statt also eine bloße Randerscheinung oder ein Atavismus zu sein, war Stasis ganz im Gegenteil ein basso continuo der hellenistischen Geschichte, ein zentraler Faktor, ohne dessen Analyse sich die Entwicklung der griechischen Welt zwischen Alexander und Augustus sowie die Mechanismen der römischen Expansion im Osten des Mittelmeerraums nur schwer verstehen lassen.

Dies gilt ebenso für die Transformation der Mittelmeerwelt im Übergang von der Antike zum Mittelalter. Dabei spielen einerseits die internen und externen gewaltsamen Konflikte, die zum Kollaps der antiken politischen Ordnung führten, eine zentrale Rolle, andererseits aber auch die Anpassungs- und Bewältigungsstrategien, die auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene eine erhebliche Resilienz ermöglichten und so beispielsweise dazu führten, dass sich das oströmisch-byzantinische Kaisertum noch bis ins 15. Jahrhundert behaupten konnte. Die Frage nach den kulturellen, sozialen, religiösen und politischen Transformationsprozessen, die mit dem Übergang von der antiken zur mittelalterlichen Welt verbunden waren, hat dabei gerade in den letzten Jahren wieder an Aktualität gewonnen: Es zeigt sich, dass der Übergang von der spätantiken zur frühmittelalterlichen Welt in Ost und West vielfach ähnlichen Mechanismen gehorchte und die politischen Kulturen der postimperialen Reichsbildungen Lösungen für vergleichbare Probleme finden mussten: Welche Rolle spielten interne Konflikte für die politische Desintegration des Imperium Romanum? Wie konstituierten und transformierten sich ethnische Identitäten? Wie interagierten die neuen, militarisierten Eliten, deren Wurzeln teilweise in "barbarischen" Gesellschaften an der Peripherie der spätantiken Imperien lagen, mit der nun von ihnen beherrschten Mehrheitsbevölkerung, und welche Repräsentationsformen wählten sie in diesem Zusammenhang, um der Prekarität und Vulnerabilität ihrer Position entgegenzuwirken? Welche Strategien verfolgten umgekehrt die alten Eliten, insbesondere die Senatsaristokratie, um Resilienz gegenüber den sozialen und politischen Umwälzungen aufzubauen? Wie legitimierten sich die neu entstandenen monarchischen Ordnungen des Frühmittelalters; welche Rolle spielten dabei religiöse Bekenntnisse wie der "Arianismus" oder der Islam?
Im Mittelpunkt der Forschungen steht dabei letztlich die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden; zum einen sollen also Analogien identifiziert werden, um Phänomene, die bislang als singulär behandelt wurden, in einen weiteren historischen Kontext einzuordnen, zum anderen geht es um die Benennung der Unterschiede, um auf diese Weise das jeweils Spezifische ebenso wie das transkulturell Verbindende klarer herauszuarbeiten.

 

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